Das sächsische Innenministerium stuft die Tötung von Christopher W. in Aue nicht mehr als rechtsmotiviert ein. Das geht aus Antworten auf Anfragen der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Linke) hervor. Hintergrund sei, dass „in der diesbezüglichen Hauptverhandlung und Urteilsbegründung des Gerichts eine politische Tatmotivation nicht festgestellt wurde“, so Innenminister Armin Schuster (CDU).

Der 27-jährige Christopher W. war im April 2018 von drei vermeintlichen Freunden auf brutale Weise getötet worden. Die Täter schlugen und traten auf ihn ein, benutzten dabei auch verschiedene Gegenstände und warfen ihr Opfer schließlich in einen Schacht. In vielen Berichten ist von „Folter“ die Rede. Der Körper von Christopher W. sei dermaßen entstellt gewesen, dass die Polizei den Mann zunächst nicht identifizieren konnte.

Beleidigungen und NS-Bezüge

Mehrere Faktoren führten dazu, dass das Innenministerium die Tat jahrelang als rechtsmotiviert einstufte. Die Täter sollen Christopher W. aufgrund seiner sexuellen Orientierung wiederholt homofeindlich beleidigt haben und waren der Polizei wegen rechtsmotivierter Vorfälle bekannt. Mindestens eine Person besaß und verbreitete nationalsozialistische Propaganda.

Dass das Verbrechen in Aue seit November 2024 nicht mehr als rechtsmotiviert eingestuft wird, liegt laut Innenministerium an einem „Abgleich“ mit dem Gerichtsurteil. Das Landgericht Chemnitz hatte bei seiner Urteilsverkündung im Jahr 2019 keinen rechten oder homofeindlichen Hintergrund erwähnt.

Nagel findet Entscheidung nicht nachvollziehbar

„Ich halte diese Entscheidung für irritierend und nicht ansatzweise nachvollziehbar“, schreibt die Linken-Abgeordnete Nagel in einer am Montag veröffentlichten Pressemitteilung. Das Gericht habe in seinem Urteil kein Tatmotiv festgestellt, aber auch keines ausgeschlossen. Es habe aber den rechten Hintergrund der Täter und die homofeindlichen Beleidigungen benannt.

Juliane Nagel bei einem öffentlichen Auftritt im Oktober 2024. Foto: Jan Kaefer

Die Entscheidung des Innenministeriums ist laut Nagel auch fachlich falsch: „Bei der Einschätzung, ob eine politische Tatmotivation vorliegt, zählen Ermittlungserkenntnisse. Auf eine justizielle Entscheidung kommt es hingegen nicht an, zumal nur die wenigsten Straftaten überhaupt zu einem Urteil führen.“

Schon während der Gerichtsverhandlung und nach der Urteilsverkündung gab es Kritik daran, dass Homofeindlichkeit als mögliches Tatmotiv keine große Rolle spielte. Hätte das Gericht ein solches gesehen, wären die Täter wohl nicht nur wegen Totschlags, sondern wegen Mordes verurteilt worden.

Opferberatung sah rechtes Tatmotiv

Die sächsische Opferberatung RAA teilte damals in einer Stellungnahme mit, dass „die Umstände der Tat und die Einstellungen der Täter deutlich für ein homophobes Tatmotiv sprechen“. Auch die besondere Brutalität sei ein Indiz dafür.

Nach der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU hatten die Behörden zahlreiche Todesfälle auf ein rechtes Tatmotiv überprüft und in wenigen Fällen eine Neubewertung vorgenommen. Dass eine Tat umgekehrt nachträglich nicht mehr als rechtsmotiviert eingestuft wird, ist selten.

Die offiziellen Zahlen und die Zählungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und einigen Medien weichen deutlich voneinander ab. Während das BKA im vergangenen Jahr für den Zeitraum von 1990 bis 2023 eine Zahl von 115 Todesopfern rechter Gewalt nannte, zählt die Amadeu Antonio Stiftung mindestens 219 Personen. Hinzu kommen zahlreiche Verdachtsfälle und eine mutmaßlich hohe Dunkelziffer.

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