Wo war er nicht alles: in Braunschweig, in Magdeburg, in Leipzig natürlich auch. In Kneitlingen soll er geboren worden sein, in Mölln gestorben. Im Jahr 1510 erschien in Straßburg das Volksbuch „Ein kurtzweilig lesen von Dil Ulenspiegel, geboren vß dem land zu Brunßwick, wie er sein leben volbracht hat“, das seine Legende bis heute begründet. Und natürlich die Forscher beschäftigt: Gab es ihn wirklich? Oder halten die Schwänke um Till Eulenspiegel völlig verschiedene Anekdoten fest, in denen die Deutschen ihre eigene Leichtgläubigkeit, Verführbarkeit und Gier auf die Schippe nahmen? Man könnte ja ins Grübeln kommen.
Und das haben der Germanist Alexander Schwarz und der Historiker Matthias Steinbach auch genutzt, um dieses Buchprojekt auf die Beine zu stellen. Denn den 96 im Volksbuch versammelten Streichen Till Eulenspiegels rechend haben sie 96 Autorinnen und Autoren eingeladen, ihren ganz speziellen Seiltanz zu diesem Buch beizutragen, um „Eulenspiegel wieder zum Leben zu erwecken“.
„Doch hat sich der Narr, man hätte es wissen können, diesem Anliegen durch strikte Verweigerung entzogen“, schreiben die beiden im Vorwort. Was so resolut natürlich nicht stimmt. Auch wenn nicht alle 96 Eingeladenen auch geliefert haben. Was passieren kann. Manchmal machen einen die Streiche des Narren auch sprachlos.
Obwohl der Eulenspiegel mit dem traditionellen Narren ja nicht identisch ist. Damit beschäftigen sich etliche Texte sehr intensiv. Was mit der Etymologie des Namens Eulenspiegel beginnt, die durchaus logisch und treffend ist. Auch Wikipedia führt sie an. Und wenn man das im Hinterkopf behält, wird die Art der Geschichten, die um Till Eulenspiegel erzählt werden, fassbarer. Auch in ihrer Derbheit, Bosheit und Obszönität.
Leck mich …
Was ja gerade das Volkstümliche ausmacht, das die Gelehrten in ihren Elfenbeintürmen nur zu gern nur mit Naserümpfen wahrzunehmen geruhen. Aber nicht grundlos taucht auch Götz von Berlichingen in einem der Beiträge auf, der genauso volkstümlich antwortet, als er auf seiner Burg gestellt wird – bei Wikipedia mit „Schwäbischer Gruß“ verzeichnet.
Der aber im Grunde nichts anderes ist als die Abwandlung des Spruches, der sich auch aus der Deutung von Eulenspiegels Namen ergibt: „Leck mich am Arsch“.
Was natürlich nicht ausschließt, dass es für diesen Till tatsächlich ein lebendiges Vorbild gab. Das schließt sich nicht aus. Denn auf die Arroganz der Mächtigen und Reichen hatte das Volk meist nichts anderes als mögliche Reaktion als Renitenz. Derb, drastisch, zotig. Wie soll man sich sonst wehren gegen die feinen Herren in ihren Pelzen und Nadelstreifen, die das Recht immer auf ihrer Seite haben, die armen Leute über den Tisch ziehen und den Hals nicht voll kriegen können?
Man merkt schon: Das ist ein sehr heutiges Thema. Auch wenn man sich heutzutage erst recht hüten muss, so derb zu werden wir der Götz von Berlichingen. Sonst flattern einem ganz schnell teure Abmahnungen ins Haus. Wir sind ja so fein und rücksichtsvoll geworden …
Nur an den Ungerechtigkeiten hat sich nichts geändert. Und an der Leichtgläubigkeit der Menschen sowieso nicht. Was sie oft nicht mal merken, wenn man in ihrer Stadt die jeweiligen Eulenspiegel-Streiche aufführt. Sie lachen über den Schelm und seine gelungenen Foppereien. Ihnen kann das ja nicht passieren, sie lassen sich keine Katzen für Hasen andrehen und keine Schätze, die schon von weitem stinken.
Wir Leichtgläubigen
Das macht die Eulenspiegel-Streiche so schön doppeldeutig. Und so heutig, wie Dag Wachsmann in seinem Beitrag erzählt. Er hat zehn Jahre lang den Eulenspiegel im Braunschweiger Land gespielt und die Leute auf der Einkaufsstraße tatsächlich mit echten Eulenspiegelschen Verheißungen ins Bockshorn gejagt. Sie haben ihm geglaubt und sind tatsächlich losgerannt, um die versprochenen Geschenke einzusammeln. Gier ist dumm, blind und zügellos. Und wird auch heute allüberall gehegt und gepflegt. Davon leben ganze Branchen, die den Leuten heiße Luft für teuer Geld andrehen – und die glauben tatsächlich noch, sie hätten den Vefkäufer ausgetrickst.
Oder mit Wachsmanns Worten: „Interessant war es für mich stets, wie leichtgläubig die Menschen sind. Trotz des markanten Kostüms des Narren und des Wissens, das man Till Eulenspiegel nicht beim Wort nehmen sollte, nahmen die Menschen alles für bare Münze und regten so, ohne dass es ihnen bewusst war, meine Fantasie für neue Streiche an.“
Vielleicht hätten Schwarz und Steinbach gut daran getan, auch ein paar Politikwissenschaftler und Philosophen einzuladen. Denn so, wie sich heute immer noch Leute zu Kaffeefahrten und „Schnäppchenjagden“ verladen lassen, auf afrikanische Prinzen und Millionengewinne hereinfallen, wird ja längst auch Politik an leichtgläubige Leute gebracht, holen sich Leute mit lauter blumigen Versprechen die Wahlsiege, die nicht mal dran denken, wie man irgendeins diese Versprechen tatsächlich halten könnte. Es ist regelrecht zur Masche geworden, mit der ein leichtgläubiges Wählervolk gekauft wird.
Die Narren in Schilda und so
Und das Beklemmende dabei ist: Das wussten die Anekdotenerzähler schon immer, die in den Wirtshäusern die dollsten Streiche des Til Eulenspiegel erzählten, neue hinzuerfanden und sich schon beim Erzählen drauf freuten, wie die ganze Runde sich hinterher vor Lachen krümmen würde, weil sie mal wieder bestätigt sah, wie doof die Leute andernorts waren. Was die Eulenspiegel-Geschichten natürlich direkt in die Nähe der Geschichten über Laleburg bzw. Schilda rückte. Die aber nicht erwähnt werden.
Dafür kommen andere berühmte Schalksgestalten wie Hodscha Nasreddin mehrfach vor (der freilich nie so derb und rüpelhaft war wie Eulenspiegel), aber auch leibhaftige Humoristen wie Karl Valentin oder Charlie Chaplin. Oder ähnlich krumme Gestalten wie Hopp Frosch aus einer Erzählung Edgar Allan Poes oder der Kapellmeister Kreisler aus den Geschichten E.T.A. Hoffmanns.
Man kann Verwandtschaft entdecken – aber auch Unterschiede. Genauso, wie sich der niederländische Till Eulenspiegel, den Charles De Coster zum Freiheitskämpfer gemacht hat, vom Eulenspiegel der zwei DDR-Verfilmungen unterscheidet. Eine Gestalt, die man sich anverwandeln kann, mit neuen Botschaften und neuer Moral unterlegen. Obwohl der ursprüngliche Till davon nichts hat. Eher ist er ein Bursche, der gelernt hat, dass man leichtgläubige Menschen mit dem richtigen Auftreten und lauter aufgeblasenen Versprechungen nicht nur aufs Kreuz legen kann, sondern dabei auch noch seinen Vorteil findet.
Ein kleiner Kapitalist also, wie einer der Beiträge genüsslich feststellt. Aber eben nicht, weil er Kapital hortet und mit seinem Reichtum prahlt. Sondern weil er seine Streiche wie kleine Geschäfte organisiert. Und jedes Mal darauf setzt, dass die Leute ihm jedes Wort glauben, egal, was er ihnen verspricht.
Und man hat sie ja direkt vor sich, wie sie verwundert das Maul aufsperren, wenn ihnen der Bursche – der übrigens erst in späteren Darstellungen mit Narrenkappe zu sehen ist – lauter Dinge verspricht, die sie sich im Traum nicht gedacht hatten. Und statt den Prahlhans freundlich abzuservieren, geben sie ihm, was er verlangt, um seine große Show zu inszenieren. Und stehen hinterher blamiert und verspottet da. Und Eulenspiegel tut gut daran, die Stadt bei Nacht und Nebel zu verlassen.
Der bewunderte Betrüger
Denn natürlich fühlen sich die Leute betrogen. Aber es funktioniert immer wieder. Manchmal so, dass das Volk den Missetäter belacht und bejubelt – so wie Gustav Voigt, den „Hauptmann von Köpenick“. Oder den Burschen, der den Eiffelturm zum Schrottpreis als einen leichtgläubigen Händler verkaufte. Wenn es gegen die Reichen und Mächtigen geht, kommt das Lachen aus tiefstem Behagen.
Dann wird der Eulenspiegel zum Stellvertreter, dem es mit Witz und Bosheit gelingt, den Unersättlichen ihre Grenzen zu zeigen. Dann schlägt der Schalk den Gierigen. Denn er weiß, dass er ihn bei der Gier packen kann. Gier macht dumm und blind. So funktionieren ganze Kartenhäuser und windige Immobilienkonstrukte, deren Erbauer von leichtgläubigen Medien gefeiert werden. Bis die Blase platzt.
Denn der Normalfall ist, dass die Leichtgläubigen ganz ohne Eulenspiegelei geschoren und ausgeplündert werden. Und dass das Volk die Zeche zahlt. So wie 2009. Eulenspiegel ist auch dafür der Spiegel: für die Ohnmacht der Ausgeplünderten, die sich gegen die groß aufgezogene Plünderei nicht wehren können. Hinterher aber immer zur Kasse gebeten werden. Das wird zwar nicht thematisiert in diesen 96 Seiltänzen, aber es spielt immer mit, wenn Eulenspiegel irgendwie ins Spiel kommt. Erst da versteht man die Derbheit seiner Späße. Und dass er mit den Betrogenen so überhaupt kein Mitleid hat.
Und die Verweise auf einige modernere Betrüger lassen ahnen, dass sich an alledem seit dem 14. Jahrhundert nicht wirklich viel geändert hat. Wenn einer nur unverfroren genug ist, die Menschen im großen Maßstab über den Tisch zu ziehen, dann kommt er in der Regel ungeschoren davon und ist mit Richtern und Politik dicke Freund. Da wünscht man sich einen Kerl wie diesen Eulenspigel, der es den feinen Herren mal so richtig zeigt. Zwar ist er im Lauf diverser literarischer Überarbeitungen teilweise längst zum Kinderzimmernarren geworden. Aber die großen Autoren wissen, was für ein starker Stoff in diesem Eulenspiegel-Typus bis heute steckt. Wenn man ihn ernst nimmt. Und den Mut hat, den Namen wörtlich zu nehmen.
Kleine gierige Wünsche
Die 96 kurzen Beiträge in diesem Band laden geradezu dazu ein, sich mit diesem Till wieder zu beschäftigen. Das braucht kein Jubiläum und keinen besonderen Anlass. Nur den Mut, die Menschen mit denselben illusionslosen Augen zu betrachten wie dieser Till, der eigentlich in jedem steckt. Denn wir wissen ja um die ganze Zweischneidigkeit, die simple Tatsache, dass wir uns über jeden Ganoven ärgern, der mit seiner Betrugsmasche mal wieder durchgekommen ist.
Aber dabei auch das dumme Gefühl haben, dass wir beim nächste Mal selbst die Geneppten sein könnten. Denn windigen Versprechungen zu glauben, das kann auch uns passieren. Es muss nur der Richtige kommen, der uns genau mit dem Versprechen ködert, das als kleiner gieriger Wunsch schon lange in uns lodert. Und dann? Dann bleibt am Ende nur die Scham, wenn auch das sauer Ersparte weg ist.
Eulenspiegel ist unser Zeitgenosse. Er war nie weg. Ein Archetypus, wie ihn die beiden Herausgeber nennen, die etliche Texte selber schreiben durften und mussten, weil nicht alle Eingeladenen liefern konnten. Manchmal bleibt einem der Spaß eben im Hals stecken, wenn man merkt: Auch unsereins ist gemeint. Niemand ist gefeit. Man kann im Eulenspiegel eine typisch deutsche Trickster-Figur sehen.
Man kann darin aber auch die simple Wahrheit erkennen, wie leicht wir alle zu betrügen sind, wenn uns einer nur den Geruch des Bratens verspricht. Oder den Klang des Geldes, um den gerochenen Braten zu bezahlen. Nur sind wir meistens nicht so gewitzt wie dieser Till. Und zahlen dann brav die Zeche fürs Nicht-Verspeiste.
Alexander Schwarz, Matthias Steinbach (Hrsg.) „Eulenspiegels Rückkehr“, Edition Hamouda, Leipzig 2025, 19,80 Euro.
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