Am heutigen Mittwoch, dem 16. April, steht der Planungsbeschluss für die Umsetzung des Freiheits- und Einheitsdenkmals in Leipzig auf der Tagesordnung des Leipziger Stadtrates. Doch kurzfristig hat die CDU-Fraktion dazu einen Änderungsantrag eingebracht. „Der Planungsbeschluss zur Errichtung des Freiheits- und Einheitsdenkmal auf Basis des Siegerentwurfs des Wettbewerbes wird gefasst, unter der Maßgabe, dass mindestens 30 % der Banner mit Parolen und Sprüchen der Banner der Montagsdemonstrationen in den Jahren 1989/90 versehen werden …“ Ein Antrag, der deutlichen Protest hervorruft.
Nachdem schon der erste Anlauf gescheitert war, in Leipzig ein Freiheits- und Einheitsdenkmal auf die Beine zu stellen, vertraute die Stadt den zweiten Findungsprozess der Stiftung Friedliche Revolution an, die den Wettbewerbsprozess für dieses Denkmal im Auftrag der Stadt Leipzig bis zur Auswahl des Siegerentwurfs im Oktober 2024 begleitet. Als die Entwürfe vorgestellt wurden, blieb das Echo in der Öffentlichkeit erstaunlich verhalten. Sodass mit einem recht einhelligen Votum am heutigen 16. April für den Planungsbeschluss gerechnet werden konnte.
Freilich gab es im Rahmen der Haushaltsverhandlungen zwei Vorstöße, die Umsetzung doch noch zu verhindern. Die CDU-Fraktion beantragte einen Sperrvermerk für die Planungsmittel für das Denkmal.
Und die BSW-Fraktion beantragte einen Bürgerentscheid, bevor ein Planungsbeschluss umgesetzt werden sollte. Beide Anträge wurde nicht berücksichtigt.
Wenn Politiker Kunst korrigieren
Also versucht es die CDU-Fraktion nun damit, dass sie regelrecht eingreift in den künstlerischen Entwurf.
Dass die Fraktion von Kunst und Kunstfreiheit überhaupt keine Ahnung hat, wird schon in den ersten Sätzen der Begründung deutlich: „Der Entwurf in seiner jetzigen Form lässt einen zu großen Interpretationsspielraum zu. Der Bezug zu Zeitzeugen und der Dokumentation der Geschehnisse, die auf den Herbst ´89 und die Einheit ´90 hinführen, ist im besten Falle beliebig. Hier wird die Chance vertan, sich künstlerisch mit den Entwicklungen der Montagsdemonstrationen auseinanderzusetzen.“
Wenn Kunst keine Interpretationsspielräume mehr hat, wird sie zur simplen Propaganda. Bestenfalls zur platten Interpetation der Vergangenheit, wie es sich die CDU-Fraktion vorstellt: „Die Veränderungen in den Zielen und Bestrebungen, die auf dem Ring skandiert wurden, beeinflussten letztendlich auch das Schicksal der ehemaligen Bürger der DDR. Der Weg von der Reform der Deutschen Demokratischen Republik, hin zum großen Glück der Wiedervereinigung, war ein Vorgang, der sich in herausragender Art und Weise mit den Parolen und Sprüchen der Banner und Plakate darstellen lässt.
Das Ziel des Denkmales ist die Erinnerung an die tatsächliche Entwicklung 89/90. Diese nahm Bezug auf konkrete Forderungen und veränderte sich mit der Zeit. Diese Aspekte auszulassen, können wir im Sinne des historischen Bezuges nicht nachvollziehen.
Die Banner in der jetzigen Form sind zusätzlich leicht zu verdrecken und zu beschädigen. Es wäre fatal, wenn politische Symbole, die in keinem Fall mit dem Geiste der Montagsdemonstrationen vereinbar sind, sich auf dem Freiheits- und Einheitsdenkmal wiederfänden.
Generell ist zu empfehlen, dass die Eröffnung des Denkmals derart inszeniert wird, dass eine gewisse Vorprägung des Denkmalortes unternommen wird. Das kann zum Beispiel durch Präsentationen, von Zeitzeugnissen und ihre heutige Wirkung, auf die sonst leeren Banner erfolgen.“
Die Stiftung Friedliche Revolution vertraut trotzdem darauf, dass der prämierte Entwurf nun in die Umsetzung geht – „als sichtbares Zeichen für Freiheit, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Vorstand der Stiftung respektiert selbstverständlich die demokratischen Entscheidungen des Stadtrates, ist aber besorgt, dass der erst kürzlich eingebrachte Änderungsantrag der CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat den Denkmalprozess gefährden könnte.“
Gesine Oltmanns, die Ehrenvorsitzende der Stiftung, hat jetzt einen Appell „Für Respekt und Wahrung der Kunstfreiheit“ verfasst, der auch die Unterstützung des Vorstands gefunden hat. Außerdem gibt es vier weitere Statements, die die Umsetzung des im Wettbewerb gefundenen Preisträgerentwurfs fordern.
Der Appell von Gesine Oltmanns
Für Respekt und Wahrung der Kunstfreiheit
Ein Appell von Gesine Oltmanns, Ehrenvorsitzende der Stiftung Friedliche Revolution
An die Stadträte und Stadträtinnen im Leipziger Stadtrat,
wenn Sie über den Planungsbeschluss für das Freiheits- und Einheitsdenkmal abstimmen, dann treffen Sie eine wichtige Entscheidung, deren Wirkung weit über Leipzig hinausreicht. Das Denkmal ist ein zentrales Projekt des nationalen Gedenkens, durch Bundestagsbeschlüsse bekräftigt, durch den Freistaat intensiv unterstützt und auch im Leipziger Stadtrat aktiv befördert. Die Stiftung Friedliche Revolution hat den Denkmalsprozess im Auftrag der Stadt professionell, kompetent und transparent begleitet. Sie hat das gesamte Denkmalprojekt überregional ausgerichtet, so wie es der Beschluss des Bundestages vorsieht, als ein nationales Denkmal für die Freiheitsbewegung 1989 in ganz Ostdeutschland.
Alle Menschen, die an diesem Prozess beteiligt waren und sind, internationale Expert*innen wie Bürger*innen, haben dieser Abstimmung mit Vertrauen entgegengesehen. Der vorliegende Änderungsantrag der CDU-Stadtratsfraktion bringt dieses Vertrauen ins Wanken.
Er dokumentiert einerseits den offensichtlichen Unwillen, demokratische Entscheidungen anzuerkennen, und anderseits ein fehlendes Verständnis für verfassungsmäßig garantierte Grundrechte, wie die Kunstfreiheit. Abgesehen davon, dass ein solcher Eingriff den Vergaberichtlinien der künstlerischen Ausschreibung zuwiderläuft. Nicht zuletzt wird damit der vorgesehene Zeitplan bis zur Grundsteinlegung am 9. Oktober ernsthaft gefährdet.
Inhalt und Zeitpunkt des Antrages verweigern sowohl den Künstler*innen wie auch den hochangesehenen Sachverständigen und Jurymitgliedern aus dem In- und Ausland, aber auch den hochengagierten Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung, den angemessenen Respekt für ihre leidenschaftliche wie kompetente Arbeit in den letzten beiden Jahren.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass nicht nur die Leipziger Bürgerschaft, sondern auch die Vertreter*innen des Leipziger Stadtrates, ebenso wie viele weitere Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur von Beginn an aktiv in den Denkmalsprozess eingebunden waren.
Gemeinsam haben wir den Denkmalprozess nach dem ersten gescheiterten Versuch in professionelle Bahnen gelenkt, mit einem hohen Maß an Transparenz, vielschichtiger Bürgerbeteiligung und umfassender fachlicher Expertise aus dem In- und Ausland. Der Jury-Vorsitzende Kjetil Thorsen (Norwegen), weltweit renommierter Architekt, der u.a. den Museumskomplex am Ground Zero in New York plante, hat erklärt: „In Summa freue ich mich ganz besonders, dass das Projekt so mit einem Entwurf beschenkt wird, der im globalen Kontext einen Maßstab setzen wird.”
Sie sehen also, Ihre Entscheidung ist von Brisanz. Wie der gesamte Denkmalsprozess, wird auch diese Abstimmung europaweite mediale Aufmerksamkeit finden. Bei einem Scheitern befürchte ich irreparable Schäden für das Image von Leipzig, eine langjährige juristische Auseinandersetzung und auch den Verlust an Vertrauen in vereinbarte Prozesse.
Vor geraumer Zeit lobte die Leipziger Volkszeitung die Tatsache, dass der Denkmalsprozess viel kompromissbereiter und weniger ideologisch geführt werden konnte als beim ersten Anlauf.
Ich möchte Sie herzlich bitten, dies fortzuführen und ein für Leipzig, für die deutsche Erinnerungskultur, für die europäische Verständigung, vor allem aber für die kommenden Generationen so wichtiges Vorhaben, nicht zu gefährden.
Gesine Oltmanns
Projektleiterin Denkmalsprozess der Stiftung Friedliche Revolution
Ehrenbürgerin der Stadt Leipzig
Vier weitere Stellungnahmen
Kjetil Trædal Thorsen (N), Vorsitzender der Jury, Fachpreisrichter
Als Jurymitglied und Vorsitzender von über 40 Kunst- und Architekturpreisen und -wettbewerben in den letzten 30 Jahren war ich von der Organisation und Beteiligung am Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig tief beeindruckt. Mein Büro Snøhetta und ich verfügen über umfassende Erfahrung mit komplexen, emotional und gesellschaftlich bedeutsamen Projekten wie dem 9/11 Memorial Pavillon am Ground Zero in New York oder dem Denkmal „Arch for an Arch“ für Desmond Tutu in Durban, Südafrika. Diese Position auf beiden Seiten des Tisches ermöglicht es mir, Projekte und deren Ergebnisse zu vergleichen. Ich kann Ihnen versichern, dass alle Projekte, an denen ich beteiligt war, trotz schwieriger Prozesse einen wichtigen und langfristigen positiven Einfluss auf die Gesellschaften oder Orte hatten, an denen sie errichtet wurden.
Deshalb habe ich, trotz meiner Enttäuschung, aber nicht Überraschung, ein gewisses Verständnis für die aktuelle Situation in Bezug auf das Projekt in Leipzig. Persönliche Unsicherheiten, seien sie politischer oder emotionaler Natur, spielen bei Entscheidungen über Projekte von großem öffentlichen Interesse immer eine Rolle. Aus diesem Grund gibt es Wettbewerbe wie diesen, bei denen Teilnehmer und Fachjuroren Entscheidungsträgern Orientierung bieten und künstlerische Lösungen jenseits politischer oder persönlicher Präferenzen auswählen.
Das Siegerprojekt „Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig“ ist ein sehr subtiles, aber dennoch kraftvolles und relevantes Kunstwerk. Es reflektiert die friedliche Revolution auf wunderbare Weise und zeigt, dass menschliche Werte und gegenseitiger Respekt Gewalt überwinden können.
Im Vergleich zu ähnlichen Projekten ist das Kunstwerk weniger klassisch monumental, sondern interaktiver und auf die Öffentlichkeit und die Einwohner ausgerichtet. Im Gedenken an dieses friedliche Ereignis lassen sich ihre Hoffnungen und Wünsche für die Zukunft auf neuen, leeren Plakaten darstellen.
In diesem Sinne ist das Denkmal neuartig und einzigartig in der Typologie ähnlicher Denkmäler.
Ich fordere die Stadt Leipzig auf, ihrer Verpflichtung gegenüber ihrer Öffentlichkeit, den Künstlern und den zukünftigen Generationen nachzukommen und sich von einer wahrhaft außergewöhnlichen Revolution inspirieren zu lassen.
Dr. Barbara Steiner, Direktorin und Vorstand Bauhausstiftung Dessau, Fachpreisrichterin Jury
Mit Schrecken erinnert mich diese Beschlussvorlage an das – nicht nur für die Stadt Leipzig – zutiefst beschämende Ende des ersten Wettbewerbs. Man konnte damals schon sehen, wie schnell ein solches, symbolisch für eine größere Idee und die Ideale der Demokratie und Freiheit stehendes Verfahren ausgehebelt werden kann. Und dies heute umso mehr, wo die Zukunft der übergreifenden Ideale von Demokratie und Freiheit auch in der westlichen Welt unter einem großen Druck stehen.
Von daher kommt dem zweiten Anlauf dieses Wettbewerbsverfahrens aus meiner Sicht eine besondere Bedeutung und Dimension in die Glaubwürdigkeit unserer demokratischen Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse zu. Eine wesentliche Grundlage unserer parlamentarischen Demokratie sind dabei auch die rechtlich bindenden Regelwerke der Wettbewerbskultur, welche ihre Stiftung Friedliche Revolution vor dem Hintergrund des damals gescheiterten Wettbewerbs so vorbildlich und transparent im Auftrag der Auslober – Bund, Land und Stadt – umgesetzt hat. Betroffen macht darüber hinaus, wie respektlos mit einem künstlerischen Wettbewerbsentwurf umgegangen wird, der von einer internationalen Jury ausgewählt wurde. Allein die Vorstellung, in diesen eingreifen zu wollen, ist ein Bruch mit einer gelebten Wettbewerbskultur.
Zu diesem Verfahren und dem Ergebnis sollte sich aus meiner Sicht der Stadtrat klar bekennen. Der Antrag der CDU-Fraktion überschreitet hier ganz fundamental Grenzen des Eingriffs in die künstlerische Idee der Preisträger und die Entscheidung des Preisgerichts und sollte entsprechend deutlich abgewiesen werden.
Britta Peters, Künstlerische Leitung, Urbane Künste Ruhr, Kultur Ruhr GmbH, Mitglied der Findungskommission (Auswahl-Jury)
Die Vorstellung der CDU-Fraktion, man könnte einen preisgekrönten künstlerischen Entwurf nachträglich verändern und Texte hineinredigieren, ist befremdlich. Es käme wohl auch niemand auf die Idee, Hans Haackes Schriftzug Der Bevölkerung, seit 2000 auf Beschluss des Bundestags im Lichthof des Reichstagsgebäudes installiert, beliebig umzuformulieren. Die Transparente und Schilder, die den Entwurf von ZILA Architekten gemeinsam mit den Künstler*innen Bea Meyer und Michael Grzesiak skulptural bestimmen, sind bewusst weiß gelassen worden. Erst durch die auf diese Weise zum Ausdruck gebrachte grundsätzliche Potentialität von freier Meinungsäußerung und zivilem Widerstand werden sie künstlerisch interessant. Es handelt sich um den Entwurf für ein Denkmal, um eine stadträumliche Einladung zum Nachdenken und Erinnern, und nicht um eine Dokumentation der Ereignisse. Wer jedoch mehr über konkrete Daten wissen möchte, findet in den Intarsien auf dem Boden auch Hinweise darauf.
Der erstplatzierte Vorschlag wurde in einem öffentlich einsehbaren Verfahren von einer Fachjury aus Hunderten von Ideen herausgefiltert. Ihn jetzt durch politische Einmischung zu verwässern, bedeutet ein beispielloses Misstrauensvotum nicht nur gegenüber alle am Verfahren beteiligten Personen, sondern auch gegenüber den vielfältigen Möglichkeiten von Kunst und Kultur, komplexe Ereignisse zu vermitteln und Identität zu stiften.
Benjamin Hossbach, Architekt und Wettbewerbsmanager, [phase eins], Wettbewerbsbüro
Seit über 25 Jahren darf unser Team in vielen Ländern Wettbewerbe zu Fragen der Architektur, des Städtebaus und der Kunst begleiten, darunter Erinnerungsorte für die Opfer der Maidan-Revolution in Kyiv, für die Mahnung an Krieg und Frieden mit der Umgestaltung der Gedächtniskirche in Berlin oder auch Bauaufgaben wie das Europäische Parlament oder das Zentralgebäude im BMW Werk Leipzig. In diesen und vielen anderen Verfahren war die Kooperation mit der Politik bereits während des Wettbewerbs der Grundstein für die Vermittlung des Entscheidungsprozesses in der Gesellschaft. Die Wettbewerbsjury versammelt Fachleute, Bauherren, Verwaltung und Politik, um im Konsens die für das Projekt beste Lösung zu finden. So auch beim Wettbewerb für das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig. Immer sind eine Vielzahl Kriterien abzuwägen, was nur im intensiven, fachlichen Diskurs erfolgreich geschehen kann. Und hier lag einer der beeindruckenden Erfolge des Weges zum Entwurf für das Freiheits- und Einheitsdenkmal. Im großen Konsens wurde der Preisträger gefunden. Dabei wurde intensiv die Frage der Leere der Transparente diskutiert und als eine der Stärken des Entwurfs erkannt. Der Kommentar des Preisgerichts unterstreicht die darin innewohnende spannende Herausforderung zur Auseinandersetzung mit 1989 und aktuellen und kommenden Fragen und empfahl ausdrücklich deren Erhalt und ermutigt zur Suche nach Konzepten für die Partizipation in diesen Prozessen.
Der Umstand, dass der Entwurf nun politisch hinterfragt wird, irritiert und enttäuscht enorm. Der Respekt vor dem künstlerischen Urheberrecht und dem konsensualen Prozess eines Wettbewerbs wird infrage gestellt, was nicht nur für das Projekt, sondern als allgemeine Haltung bedenklich ist. Ich hoffe sehr, dass dieses ein kurzes Kapitel im Entscheidungsprozess für dieses wichtige Projekt ist und dieses Kapitel schnell als Irrweg erkannt wird.
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