Anlässlich des 50. Jahrestages des „Hurenaufstands“ in Lyon veranstalteten das Bündnis Hurenaufstand 1975, bestehend aus Sexarbeitenden, Vertreter/-innen der Peterskirche Leipzig sowie der Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung einen offenen Dialograum in der Peterskirche Leipzig. Wir berichteten in Teil 1 über die Hintergründe.

Am Rande des offenen Dialograumes waren Ella und Stella, zwei Sexarbeiterinnen, dazu bereit, uns ein Interview zu geben. Wir haben im Voraus die Anrede per Du für das Gespräch vereinbart. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte wurde auf Fotografien verzichtet.

Vielen Dank für Eure Bereitschaft zu einem Interview. Sagt doch bitte erst einmal etwas zu Euch, wer seid Ihr?

Ella: Ich bin Ella Bizarr, 44 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, bin als Sexarbeiterin in Deutschland, Liechtenstein und der Schweiz unterwegs. Ich biete von zart bis hart einiges an, erotische Massage, BDSM, Sexualbegleitung für Menschen auch für Menschen mit kognitiven Einschränkungen, um es kurzzufassen.

Stella: Ich bin Stella, bin 24 Jahre alt und seit etwa drei bis vier Jahren offiziell in der Branche unterwegs. Ich bin vor allem im erotischen Bereich unterwegs, biete aber auch die Fetischbereiche an.

Ihr beide, wie das in Deutschland so üblich ist, Selbstständige, wir wollen ja heute nicht über Sex reden, sondern über die Sexarbeiterinnen. Was bedeutet das eigentlich, als Sexarbeiterin selbstständig zu sein? Welchen Restriktionen, welchen Schikanen ist man unter Umständen ausgesetzt?

Ella: Also, ich bin selbstständig, das bedeutet, ich bin freiwillig pflichtversichert bei meiner Krankenkasse. Die Krankenkasse hätte gerne einen Gewerbeschein von mir, den ich aber, aufgrund meines Berufsstandes in der Selbstständigkeit, nicht bekomme, es sei denn ich würde lügen.

Also, ich müsste mir einen Gewerbeschein für irgendwas anderes, für Coaching oder Massage oder irgendwas geben lassen, um überhaupt einen in der Hand zu haben. Den braucht aber die Krankenkasse, um mich zu berechnen, weil ich ja selbstständig bin. Ohne diesen Gewerbeschein findet diese Berechnung sehr, sehr schwierig statt. Und dieses Dilemma habe ich jedes Jahr aufs Neue.

Stella: Ja, selbst und ständig, da braucht es viel Organisation. Ich mache die Arbeit neben meinem Studium, das ist halt nochmal eine andere Schwierigkeit, da ich an BAföG-Grenzen gebunden bin. Das Finanzielle ist dann eine große Hürde, denn auf der einen Seite will das Amt alles offengelegt haben, auf der anderen Seite können wir natürlich nicht voraussehen, was wir verdienen. Es ist ein schwieriger Beruf, bei dem es halt auch auf und ab geht.

Es hängt davon ab, wie viele Kunden man bekommt, kann man selbst arbeiten, ist man vielleicht für ein paar Monate krank und fällt aus. Das sind so Schwierigkeiten. Bei mir ist jetzt zum Beispiel Prüfungsphase, da konnte ich überhaupt nicht arbeiten gehen, weil ich mich anderweitig konzentrieren musste. Und ansonsten ist es natürlich immer eine Schwierigkeit, dass man sich outen muss.

Man muss zum Amt, man muss sagen, als was man arbeitet und wird dann natürlich erstmal seltsam angeguckt, beziehungsweise traut sich gar nicht einfach irgendwo hinzugehen. Man ist davon abhängig, dass jemand aus der Branche, Kollegin oder Kollege, jemanden empfehlen kann, zu dem man gehen kann. Zu einem Steuerberater zum Beispiel oder halt irgendjemandem beim Amt.

Ella, Du bist verheiratet und Mutter. Stella, Du bist jung und unverheiratet. Wie muss man sich das mit Eurem Beruf vorstellen, irgendjemanden zu sagen: Ich bin Sexarbeiterin? Gerade bei Gelegenheiten, wo alle über ihre Berufe reden.

Ella: Es kommt wirklich darauf an, wo ich bin. Meistens werde ich, wenn ich ehrlich bin, blöd angeguckt. Es fängt beim Arzt schon an. Ich habe gerade die Stadt gewechselt, muss mir also alle Ärzte wieder neu suchen und muss bei den Ärzten auch ehrlich sagen, was für einen Beruf ich habe, damit der auch hintergründig gucken kann. Nicht jeder ist mit meinem Beruf einverstanden.

Das heißt, wenn ich an den falschen Arzt gerate, das habe ich hier in Leipzig wortwörtlich schon gehabt, dass alles was ich habe, auf meinen Beruf zurückzuführen ist. Egal, was für eine Krankheit, das ist mein Beruf, das ist meine Psyche, das liegt alles an meinem Job. Es wird schon gar nicht mehr wirklich geguckt, was könnte ich wirklich haben, weil ich Prostituierte bin, das reicht. Also, bin ich krank, fertig.

Stella: Ich versuche im Allgemeinen mein Umfeld so aufzubauen, dass es Menschen sind, die mich respektieren und die mich anerkennen, mit dem, was ich bin und mit dem, was ich tue. Deswegen kann ich da auch meistens sehr offen sein. Ich schaue aber trotzdem immer: In was für einem Umfeld bewege ich mich, wie offen kann ich sein, kann ich es vielleicht nochmal irgendwie anders umschreiben?

Teile meiner Familie wissen es, aber wirklich nur der engste Kreis, und die finden das auch nicht besonders toll. Es ist immer wieder so ein Ding: Kind, was machst Du? Ja, was mache ich? Das ist immer die schwierigste Frage. Die Erfahrung mit den Ärzten habe ich auch gemacht, die Frauenärztin musste ich auch einmal wechseln. Psychotherapie habe ich sehr lange gesucht, bis ich jemanden gefunden habe, der meinen Beruf als normal angesehen hat und nicht als Ursache für alles.

Ja, und dann halt natürlich bei der Berufssuche. Bei mir geht es jetzt nach dem Studium los, wo möchte ich arbeiten, wo bewerbe ich mich, womit bewerbe ich mich? Gibt es da eine Lücke, in den letzten vier Jahren habe ich nichts gemacht, nur studiert? Natürlich nicht. Ich habe Erfahrungen gesammelt, ich habe mich weiterentwickelt, ich habe Soft Skills gelernt. Wie kann ich das aber im Lebenslauf verpacken?

Sexarbeit ist nach wie vor stigmatisiert und es gibt von gesellschaftlicher Seite viele Hemmnisse. Auf der einen Seite wird gesagt: Wir wollen die Frauen schützen. Ich habe den Eindruck, mehr vor sich selbst als vor allem anderen. Auf der anderen Seite wird gerade wieder über Verbote oder das nordische Modell diskutiert. Es ist zu befürchten, dass der Berufsstand wieder völlig in die Illegalität getrieben wird. Was wünscht ihr Euch persönlich, was sollte sich ändern, damit ihr offen überall sagen könnt: Ich bin Sexarbeiterin?

Ella: Akzeptanz, komplette Akzeptanz und nicht diese scheinheilige Akzeptanz, die jetzt gerade herrscht. Also Akzeptanz in allen Bereichen, auch beim Finanzamt, beim Gesundheitsamt, also überall. Damit ich sagen kann: Ich mache diesen Job! Und es dann nicht heißt: Alles klar, das bedeutet Du hast mit Schwarzgeld zu tun. Es ist egal, wo ich es sage. In der neuen Schule, wenn ich da preisgebe, was ich mache, das habe ich dieses Mal noch nicht getan.

In der alten Schule war es bekannt, aber dementsprechend wurde ich gemieden. Es macht auch keinen Spaß, wenn da auch Lehrer nicht differenzieren können, dass der Beruf nichts mit mir als Mutter zu tun hat. Das sind für mich zwei verschiedene paar Punkte. Ich sage immer wieder, ich nehme mein Kind ja nicht mit auf die Arbeit. Also das eine ist, was ich auf der Arbeit repräsentiere und das andere, was ich zu Hause als Mutter bin. Das sind zwei verschiedene Dinge, die in meinem Job aber grundsätzlich über einen Kamm geschert werden.

Stella: Ich würde mir, und das ist jetzt vielleicht ein neuer Begriff, den habe ich jetzt in dem Kontext noch nicht verwendet, Geduld wünschen. Ich würde mir Geduld wünschen, weil diese Diskussion, nordisches Modell ja oder nein, wird die Sexarbeit legalisiert, kriminalisiert, entkriminalisiert, akzeptiert oder auch nicht akzeptiert, auch immer davon abhängig ist, wie gerade die wirtschaftliche Lage des jeweiligen Landes oder auch der Welt ist.

Auch wie die politische Lage ist. Inwieweit man sich mit Problemen befasst, den Problemen unserer Branche, ist auch immer sehr abhängig davon, wie viel Zeit und finanzielle Mittel möchte der Staat da gerade hineinstecken. Deswegen würde ich mir Geduld wünschen, auch von Seiten der Gesellschaft. Es gibt immer wieder Zeiten, da ist Sexarbeit anerkannter als zu anderen und wenn es jetzt gerade nicht akzeptiert ist, dann wird es auch wieder akzeptiert werden, zu einer besseren Zeit. Und da einfach die Geduld zu haben und zu sagen, es wird auch wieder besser, wir können weiterkämpfen.

50 Jahre „Hurentag“, was bedeutet das für Euch?

Ella: Es zeigt ja auf jeden Fall, wie lange dieser Kampf mindestens schon andauert. Also schon viel länger, aber zumindest können wir geschichtlich eine Zahl festmachen. Wie lange kämpfen wir schon, dass wir als Menschen in diesem Beruf anerkannt werden. Und das zeigt es heute eigentlich ganz deutlich, finde ich.

Stella: Für mich ist es auch etwas Besonderes und erst recht besonders, weil dieser internationale Hurentag mit der Besetzung einer Kirche gestartet ist. Dass wir das jetzt wieder machen dürfen, ist natürlich sehr inspirierend und motivierend.

Es ist für mich schön zu sehen, dass es ab einem gewissen Jahr eine Entwicklung gibt, die man in der Gesellschaft auch nachvollziehen kann. Also nicht nur, wie hat sich die Sexarbeit entwickelt, sondern auch: Wie hat sich der Stand der Frau entwickelt, wie haben sich feministische Themen weiterentwickelt, wie hat sich die Stellung zu queeren Menschen entwickelt?

Das gehört ja alles mit dazu. Das finde ich sehr schön zu sehen und da hat sich viel getan, da muss man gar nicht allzu negativ denken. Klar sind noch viele Probleme da oder haben sich verändert, aber es ist auch viel in die positive Richtung geschehen.

Ich danke Euch für das Gespräch und alles Gute für Euch weiterhin.

Menschen können verschiedener Meinung zum Thema Sexarbeit sein. Vielleicht wird aber aus diesem Gespräch heraus klar, dass Sexarbeitende einfach Menschen mit normalen Problemen sind. Durch die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz werden diese Probleme oft verstärkt. Vielleicht ist es für manche Menschen an der Zeit, umzudenken.

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