Im April hat Anne Petzold die Koordination des Leipziger NachtRates übernommen. Damit ist sie Anlaufstelle und Vermittlerin für die Akteur/-innen des Nachtlebens und aktiv daran beteiligt, eine Brücke zwischen der „Szene“ und der Verwaltung zu schlagen. Wie sind die ersten Wochen angelaufen? An einem sonnigen Maitag haben wir Arbeit und Vergnügen miteinander verbunden und über einem Mittagessen im Hotel Seeblick mit Anne über den gesellschaftlichen Stellenwert der Nachtkultur, aktuelle Herausforderungen im Nachtleben und über ihre Zukunftspläne als Koordinatorin des NachtRates gesprochen.
Seit April bist du Leipzigs neue Koordinatorin für den NachtRat. Was war für dich die Motivation, dich zu bewerben?
Ich war vorher beim Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft Sachsen e.V. im Projekt „POP Impuls“ angestellt, welches im Dezember 2024 endete. Dabei ging es auch schon um Kulturförderung, vorrangig von Popkultur in dem Falle, speziell ausgerichtet auf Musik. Es war also klar, dass ich mich ab dem neuen Jahr nach neuen Perspektiven umschauen müsste.
Als ich erfahren habe, dass Kristin Marosi diese Stelle leider nicht weiterführen würde, war für mich klar, dass ich mich bewerben würde. Das klingt jetzt sicher kitschig, aber meine Ur-Motivation ist, Strukturen zu schaffen, um so vielen Menschen wie möglich diesen bestimmten „Dancefloor-Moment“ zu verschaffen. Damit meine ich mich nicht explizit Tanzveranstaltungen. Aber ich glaube, dass Kultur in Menschen ganz viel auslösen kann. Und ich möchte, dass alle die Möglichkeit haben, in den Genuss dieser Erfahrung zu kommen.
Ein Beispiel dafür ist die Distillery. Als ich damals gesehen habe, was dieser Club für manche Menschen bedeutet hat – ein Wohnzimmer, ein Zufluchtsort. Auch, als der Abschied in der Kurt-Eisner-Straße anstand – wie viele Herzen da gefühlt gebrochen sind. Weil an diesem Club auch so viele Erinnerungen hingen.
Ich habe mich unheimlich darüber gefreut, dass ich die Zusage für die Stelle bekommen habe. Weil ich das Gefühl habe, meine Energie hier richtig einsetzen zu können. Ich kann hier mitgestalten – um die Rahmenbedingungen für Kultur hier zu verbessern oder mindestens zu erhalten. Auch das muss man anerkennen: Leipzig ist eine Stadt, in der viel gemacht wird für Personen, die Kultur schaffen. Es gibt sehr viele Städte in Deutschland, in denen das ganz anders aussieht.
Wie sind die ersten Wochen für dich angelaufen?
Es war viel los, ich habe mich mit den Initiativen im NachtRat getroffen, viele Menschen und ihre Projekte und natürlich auch ihre Problemstellungen kennengelernt. Da wusste ich im ersten Moment manchmal nicht, worauf ich mich als Erstes konzentrieren soll.
Vor allem Nils Fischer, Fachbeauftragter für Nachtkultur im Kulturamt, war in dieser Zeit eine wichtige Unterstützung, um besser in das „Leipziger System“ und vor allem die Themen der Verwaltung einzusteigen. In den letzten Jahren war ich auf der Landes-Ebene aktiv. Da kommt man eher selten dazu, mit einzelnen Akteur/-innen ins Gespräch zu kommen, sondern ist eher im Austausch mit Netzwerken, die eine Art Sprachrohr sind.
Du bist seit Jahren gut vernetzt in der Leipziger Nachtkultur-Szene. Ist dieser Erfahrungsschatz ein Vorteil für deine neue Aufgabe?
Auf jeden Fall. Natürlich merke ich, dass ich trotzdem Lücken füllen muss in meinem Netzwerk. Durch meine Arbeit im Livekommbinat Leipzig e.V. stecke ich vor allem in der Clubkultur, da gibt es Aufholbedarf in anderen Bereichen. Aber dadurch, dass ich nicht bei null angefangen habe, konnte ich sehr schnell ins Handeln kommen. Viele Herausforderungen, vor denen Akteur/-innen der Nacht stehen, ähneln sich auch – denken wir beispielsweise an Lärmschutz.
Wird deiner Meinung nach aus politischer Ebene zu wenig getan für die Kultur?
Das denke ich schon, ja. Es werden viele andere Themen mit mehr Priorität eingestuft. Das kennen wir bestens aus der Corona-Zeit: Da ging es um die Frage, ob Kultur als systemrelevant angesehen wird oder nicht. Für mich ist ganz klar: Natürlich ist Kultur systemrelevant. Und als Gesellschaft bzw. in der Politik müssen wir etwas dafür tun, dass die bestehenden Strukturen erhalten bleiben.
Wir können hier in Leipzig wirklich froh und dankbar sein über die Netzwerke und Räume, die über die Jahrzehnte gewachsen sind. Aber auch Personen, die nachkommen, müssen Möglichkeiten finden, Kulturangebote zu schaffen. Vor allem Angebote, die keiner Verwertungslogik unterliegen. Diese Wirtschaftlichkeit kann Kultur oftmals nicht aus sich selbst heraus leisten – soll sie auch nicht. In Leipzig wird das zum großen Teil auch so gesehen, es kann natürlich aber immer mehr sein.
Und es geht auch darum, bei den Kulturschaffenden selbst ein Bewusstsein darüber zu schaffen, Unterstützungsangebote wahrzunehmen, sich breit zusammenzutun, um gemeinsam für Strukturen zu kämpfen. Allein, dass es meine Stelle gibt und die von Nils Fischer, dem Fachbeauftragten für Nachtkultur, ist ein Riesen-Mehrwert, der durch die Stadt geschaffen wurde. Jetzt kommt es auch darauf an, was die „Szene“ daraus macht.
Deshalb ist es für mich sehr wichtig, unsere Arbeit stetig mehr öffentlich zu machen – sei es über Gespräche, Insta etc. Ab Mai werden Nils und ich beispielsweise eine monatliche Sprechstunde anbieten. Wir wollen so bedarfsgerecht wie möglich arbeiten. Ich kann natürlich eine Vielzahl an Angeboten schaffen – Podiumsdiskussionen, Workshops und ähnliches – am wichtigsten ist es aber, zu wissen, was die Akteur/-innen der Nachtkultur denn eigentlich brauchen.
Wir können aber nur auf diejenigen reagieren, die sich auch bei uns melden. Dabei ist momentan vielleicht die Techno-Szene noch überrepräsentiert. Der NachtRat aber ist ja Anlaufstelle für alle Schaffenden der Nachtkultur. Oftmals schafft man damit ja auch Präzedenzfälle für andere. Was für den einen Verein eine Lösung ist, könnte sicher auch für andere funktionieren.
Hast du ein Beispiel?
Ein Thema, das uns klar aus der Szene gespiegelt wurde, ist zum Beispiel das „Spiking“, also das ungewollte Einmischen von Substanzen in fremde Getränke. Das ist ein präsentes Thema im Nachtleben, mit dem sich zahlreiche Veranstaltungsstätten beschäftigen müssen. Darüber haben wir mit betroffenen Clubs, aber auch mit Initiativen, wie den Drug Scouts, gesprochen.
Die Lösungsansätze dienen dann vielen. Explizit ist es unsere Vorstellung, dazu im Herbst eine Info-Veranstaltung zu organisieren und gemeinsam mit vielen Akteur/-innen den Austausch zu suchen und Möglichkeiten zur Bekämpfung dieses Phänomens zu erarbeiten.
Vielleicht wiederhole ich mich, aber genau dieser regelmäßige Austausch ist das Wichtige und Besondere an der Struktur des NachtRates. Es ist schlicht auch eine Frage der Kapazitäten, wie oft ich den Kontakt zu anderen Kulturschaffenden suche. Diese Szene lebt vom Ehrenamt, da passieren viele Dinge allein schon aus mangelnder Zeit im Alleingang. Meine und Nils‘ Aufgabe sehe ich darin, Formate zu entwickeln, um den Akteur/-innen diesen Austausch zu erleichtern und Netzwerke zu stärken. Das schafft Synergien und kann im besten Fall Arbeit erleichtern. Dafür muss unsere Arbeit auch noch präsenter werden.
Was habt ihr euch noch vorgenommen für dieses Jahr?
Eine Idee ist, eine große Kultur-Demo auf die Beine zu stellen. Dafür sind wir im Austausch mit den Initiatoren der Global Space Odyssey (GSO), die etwas Ähnliches ja seit fast 20 Jahren in Leipzig auf die Beine stellten. Wir wollen das Ganze noch etwas breiter umfassen. Es geht nicht „nur“ um die Clubs und Techno-Kollektive, sondern auch um Theatergruppen, Performancekünstler/-innen, Bar-Betreiber/-innen – eben alle, die im Nachtleben involviert sind.
Es geht um Sichtbarkeit nach außen und vielleicht auch darum, Gräben, die es zwischen den verschiedenen „Bubbles“ in der Kulturlandschaft gibt, zu schließen. Es braucht ein größeres „Zusammen-Gefühl“. Dafür hilft es natürlich nicht, dass Förderungen eingekürzt werden. So entsteht zwischen einzelnen Kulturbetrieben eine größere Konkurrenz um die Gelder. Das hilft nicht weiter.
Genau in solchen Momenten ist es umso wichtiger, sich zusammenzutun und gegen die Umstände anzukämpfen – oder nach anderen Lösungen zu suchen. Und solche komplexen Lösungen brauchen ein möglichst diverses Team, welches diese erarbeitet. Je homogener eine Gruppe ist, desto weniger sinnvoll ist oftmals die Entscheidung, die sie für viele trifft. Natürlich bedeutet das einen riesigen Kommunikationsaufwand. Ich denke aber, unter guter Moderation und mit dem Willen, von der eigenen Position auch mal abzurücken, ist es möglich, eine gemeinsame Lösung zu finden.
Für solche Prozesse helfen mir auch meine Erfahrungen bei „POP Impuls“. Auch in dem Projekt habe ich Panels moderiert und Vernetzungstreffen begleitet. Ich stehe gern auf Bühnen und gehe in den Austausch. Seit ich 18 Jahre alt war, habe ich Jugendprojekte mitgestaltet. Wir haben in verschiedenen Workshops Jugendliche ausgebildet in der Moderation.
Schon damals habe ich gemerkt, dass es mir viel Spaß macht, einen Rahmen zu schaffen, um für verschiedene Problemstellungen Ergebnisse zu erarbeiten und entsprechende Methoden dafür an die Hand zu bekommen. Das kommt mir natürlich zugute bei der Koordinierung des NachtRates. Da wollen wir auch möglichst viele verschiedenen Perspektiven abbilden.
Abseits davon: Ich möchte demnächst gern ein Workshop-Format auf die Beine stellen zur Barrierefreiheit in der Plakatgestaltung – um noch inklusiver zu sein. Manche Plakate können beispielsweise nicht von Menschen mit Farbschwäche gelesen werden. Für solche Ideen kann ich auf Kontakte aus der Szene zurückgreifen. Meine Arbeit ist es, das zu organisieren und dafür zu sorgen, dass viele davon mitbekommen.
Nun könnte man als Kritik anbringen, dass sich „die Kultur“ vorrangig um sich selbst zu drehen scheint…
Klar, am Anfang geht es viel darum, sich mit sich selbst zu beschäftigen – in diesem Fall der NachtRat mit seinen Mitgliedern und Strukturen. Dann kann man aus den verschiedenen Perspektiven heraus gemeinsame Ziele entwickeln und aus dieser Selbstbeschäftigung herauszukommen. Man muss natürlich aufpassen, nicht die gleichen Themen immer wiederzukäuen. Es geht darum, Lösungen zu finden – die dann natürlich ins „Außen“ reichen: Nehmen wir als Beispiel das Thema Clubsterben. Wir wollen ja nicht alleinig möglichst viele Clubs erhalten, weil sie Clubs sind, sondern weil sie eine gesellschaftliche Funktion erfüllen.
Es geht ja nicht um das „bloße“ Feiern. Viele haben heutzutage einen sehr stressigen Alltag. Gerade die Nachtkultur bietet Abstand davon und Zerstreuung, Loslassen. Die Nachtkultur ist der Raum, wo Menschen abseits von der Arbeit und anderen Verpflichtungen dafür Zeit haben.
Vor allem treffen hier aber auch Personen verschiedenster Hintergründe aufeinander, die sich abseits der Veranstaltungen aufgrund fehlender Schnittmengen niemals begegnen würden. Man lernt andere Perspektiven kennen und verlässt die eigene Echokammer. Bricht das immer weiter weg, ist das gesamtgesellschaftlich betrachtet ein Problem.
Leipzig ist zum Teil ja zu der „gehypten“ Stadt geworden, die sie ist, weil es genau für diesen Austausch und das Ausprobieren Angebote gab und noch gibt. Egal, aus welcher Richtung ich komme – welchen sexuellen, geschlechtliche-, biografischen Hintergrund ich habe – gerade in der Nachtkultur funktioniert es mit am besten, alle zusammenzubringen. Dort, wo solche Faktoren in anderen Bereichen einem vielleicht eher mal die Tür vor der Nase verschließen, öffnet die Nachtkultur genau diese Türen. Auch, weil sich die Menschen die Zeit dafür nehmen.
Musik ist ein verbindendes Element – genau wie ein Theaterstück, eine Performance etc. Vielleicht kennt man die Person nicht, die einen Meter weiter tanzt, aber man hat diese gemeinsame Erfahrung, das Erlebnis. Auch Sport ist so ein Element. Eine „gespaltene Gesellschaft“, die in den letzten Jahren immer mehr zum Thema wurde, kann man zum Teil aufbrechen durch solche gemeinsamen Erfahrungen.
Indem man sich auf Gemeinsamkeiten statt Unterschiede fokussiert. Gerade seit Corona ist das noch einmal verstärkt worden – dieses Schwarz-Weiß-Denken bezüglich fast jeden Themas. Demokratie funktioniert ja aber nun mal darüber, Kompromisse zu finden und aufeinander zuzugehen. Einander zuzuhören. Wenn der „Eisbrecher“ ein gemeinsames Musikinteresse ist, finden sich vielleicht auch bei anderen Themen verbindende Elemente im Alltag.
Mit welchen Problemstellungen siehst du die (Nacht-)Kulturbranche konfrontiert?
Es sind immer wieder ähnliche Themen: Zum einen werden die Gelder für die Kulturfinanzierung weniger. Zwar konnten hier in Leipzig Kürzungen für die nächsten zwei Jahre abgewendet werden, perspektivisch wird das wahrscheinlich aber so nicht bleiben. Man muss neue Möglichkeiten finden – auch der privaten Finanzierung, wie zum Beispiel Fundraising, Sponsoring etc. Wir wollen das Know-how dafür vermitteln. Man muss natürlich wissen, wie man so etwas angehen kann. Auf der anderen Seite werden die Räume für Kultur durch Gentrifizierung nicht mehr bezahlbar oder fallen ganz weg.
Das ist eine Stelle, an welcher du als Koordinatorin ins Spiel kommst?
AP: Zum Beispiel, ja. Die Botschaft der Nacht als Ganze und im Speziellen Nils Fischer und ich, können natürlich Informationsveranstaltungen organisieren und Unterstützung anbieten bei der Beantragung von Fördermitteln. Es ist wichtig, dass diese ganzen Möglichkeiten und Hilfsangebote für alle Akteur/-innen bekannt sind.
Wenn am Ende aber ein privater Investor kommt, der aus Profitinteresse heraus agiert und – wie wir es derzeit beispielsweise im Leipziger Osten beobachten – Ladenprojekte von ihren Standorten verdrängt, dann kann natürlich auch eine Stadtverwaltung wenig tun.
Welche Herausforderungen siehst du noch für die Zukunft der Nachtkultur?
Nachwuchsförderung gehört für mich auf jeden Fall dazu. Um das Nachtleben auch sozial nachhaltig zu gestalten, muss ich als Veranstaltungsstätte/Club/Ensemble etc. meine Zielgruppe kennen. Die hat sich durch Corona stark verändert. Wir sehen die ältere Zielgruppe, die inzwischen vielleicht manchmal lieber am Sonntagnachmittag feiert, anstatt sich die Nächte um die Ohren zu schlagen. Auf der anderen Seite jüngeres Publikum, für das die steigenden Eintrittspreise bereits die erste große Hürde für den Zugang zum Nachtleben darstellt. Wie bekommt man verschiedene Bedürfnisse unter einen Hut?
Gerade für jüngere Feiernde braucht es neue Formate. Während der Corona-Zeit haben diejenigen, die damals erstmals legal in die Clubs gehen können, eigene Ideen entwickelt, wie sie Party machen konnten. Das spielte sich zum Teil dezentral vor dem Computer ab. Das heißt, es ist ein ganz anderes Gefühl entstanden abseits von diesem gemeinsamen Erlebnis – an einem Ort gemeinsam in Musik abzutauchen. Diese Erfahrung, diesen „Dancefloor-Moment“ kennen viele aus dieser Zeit gar nicht und sehen darin vielleicht auch den Mehrwert nicht. Warum sollte ich dann knapp 20 Euro an der Clubtür bezahlen?
Um an der Stelle wieder ein anderes Gefühl aufzubauen, könnte man beispielsweise Disco-Abende anbieten für Personen unter 18 Jahren, die nachmittags bzw. am frühen Abend stattfinden und wenig bis gar keinen Eintritt kosten.
Wichtig ist dabei sicher auch noch mehr Transparenz – viele Feiernde wissen vielleicht gar nicht, wie sich ein Club finanziert. Woher kommen die hohen Ticketpreise? Wie es auch durch die CLIV, die Studie zu Clubs und Livemusikspielstätten in Leipzig, bestätigt wurde, finanzieren sich die meisten Veranstaltungsorte vor allem über den Verkauf von Getränken. Der Eintritt fließt zu großen Teilen in die Gagen der DJs, der Barumsatz bezahlt Miete, Betriebskosten und Gehälter. Wenn man sich darüber im Klaren ist und seinen Lieblingsclub unterstützen möchte, ist man vielleicht eher gewillt, ein Getränk mehr an der Bar zu kaufen.
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