Wenn man die Stimmungslage der Bevölkerung ganz oberflächlich erfassen will, dann reichen in der Regel rund 1.000 repräsentativ befragte Personen. Wenn man wirklich belastbare Aussagen bekommen möchte, dann muss die Stichprobe schon deutlich größer sein. Und sie muss differenzieren, erst recht, wenn sie ein so großes Gebiet umfasst wie die Region Leipzig/Halle. Auch dann, wenn die vier Wirtschaftskammern in diesem Gebiet gar eine belastbare Aussage zur Attraktivität des Wirtschaftsstandorts bekommen wollen. Für den Alarmismus, den die vier Kammern nun verbreiten, gibt es keinen Grund. Jedenfalls keinen, der sich aus den Umfragergebnissen herauslesen ließe.
Befragt haben die Handwerkskammern und die Industrie- und Handelskammern (IHKs) aus Leipzig und Halle (Saale), die für insgesamt 147.000 Unternehmen in der Region stehen, tatsächlich nur 1.238 Unternehmen aus 26 Städten der Regionen Halle (Saale) und Leipzig beteiligt. In der Region Halle (Saale) wurden Unternehmen folgender Städte befragt: Bernburg (Saale), Bitterfeld-Wolfen, Dessau-Roßlau, Lutherstadt Eisleben, Halle (Saale), Köthen (Anhalt), Merseburg, Naumburg (Saale), Sangerhausen, Weißenfels, Lutherstadt Wittenberg, Zeitz und Zerbst/Anhalt.
In der Region Leipzig waren Betriebe folgender Städte an der Befragung beteiligt: Borna, Delitzsch, Eilenburg, Frohburg, Grimma, Leipzig, Markkleeberg, Markranstädt, Oschatz, Schkeuditz, Taucha, Torgau und Wurzen. Die Befragung fand im Zeitraum von November 2024 bis Januar 2025 statt.
Und schon die Benennung der 26 Städte zeigt: Eigentlich hätte für jede einzelne ein Wert zur Standortzufriedenheit ermittelt werden müssen. Das aber weist die Auswertung nicht aus. Dazu ist die Zahl der befragten Unternehmen pro Stadt einfach zu klein.
Wem hilft das? Den vor Ort zuständigen Wirtschaftsabteilungen der Verwaltungen hilft es nichts.
Noch nicht überwundene Krisen
Und dazu kommt: Die Unternehmen in der Region haben alle eine Achterbahnfahrt durch mehrere Krisen hinter sich, die noch längst nicht ausgestanden ist.
Was zumindest Matthias Forßbohm, Präsident der Leipziger Handwerkskammer, anmerkt: „Die Krisen der letzten Jahre haben bei der Bewertung der Standortfaktoren vor Ort ihre Spuren hinterlassen.” Unabhängig von regionalen Einflüssen seien die Rahmenbedingungen schlechter geworden und damit die Wettbewerbsfähigkeit der ansässigen Unternehmen in Gefahr. Bei der Bewertung der Bedeutung der einzelnen Faktoren gibt es nur wenige Änderungen.
Das hat aber mit Standortfaktoren nichts zu tun.
Konkreter wird es, wenn Forßbohm sagt: „Weiterhin hohe Relevanz haben Breitbandanbindung und Mobilfunkverfügbarkeit, Strompreise und Versorgungssicherheit, Gewerbesteuer, Verkehrsanbindung sowie allgemeine Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit.“
Diese Standortfaktoren seien für mehr als zwei Drittel der Unternehmen wichtig. Die vorliegende Analyse stellt auch die gemessene Relevanz und die Zufriedenheit der befragten Untenehmen gegenüber – aus dieser Diskrepanz lassen sich tatsächlich ein paar Hinweise auf Stärken und Schwächen der Standorte herauslesrn. Abef eben nur, wen man wirklich standortkonkret auswertet und nicht alles in einen Sack steckt.
Verschlechterte Rahmenbedingungen
Und auch Sascha Gläßer, Präsident der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau, sieht die Hauptursachen für die Unzufriedenheit außerhalb der Region: „Ein entscheidender Grund für das Sinken der Zufriedenheit dürfte in der Verschlechterung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen der vergangenen fünf Jahre liegen, die mit einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und einer großen Verunsicherung in der Unternehmerschaft einherging.“
Die neue Bundesregierung müsse hier schnell tätig werden. Auch unter dem Eindruck der internationalen Zollkonflikte gäbe es hier keine Schonfrist. „Die Herausforderungen bei Energiepreisen, Steuerbelastung, Arbeitskosten und Bürokratie sind bekannt“, so Gläßer.
Und auch die konkreten Ergebnisse zeigen, dass es eher nicht die konkreten Standortbedingungen sind, die die Unternehmen unzufrieden machen, sondern Rahmenbedingungen, die vor Ort kaum beeinflussbar sind. Insbesondere die Zufriedenheitswerte für die Strom- und Gaspreise, für Gebühren und Steuern, für Genehmigungsverfahren und für die Verfügbarkeit von Fachkräften insgesamt sind zurückgegangen, schätzen die Kammern ein. Die durchschnittliche Gesamtbewertung der 26 hinsichtlich ihrer Qualität als Wirtschaftsstandort betrachteten Städte im Raum Leipzig-Halle sank nach Schulnoten ebenfalls von 2,7 auf 2,9.

Und da wir es dann tatsächlich konkret.
Der unterschätzte Faktor Demografie
Zwei Themen sind den Kammerverantwortlichen dabei wichtig – auch weil es hier auffällige Verschlechterungen gab. So werden die Standortfaktoren „Verfügbarkeit von Facharbeitern/Meistern“ und „Verfügbarkeit von Arbeitskräften ohne Ausbildung“ merklich schlechter als 2019 bewertet. Im Durchschnitt sind die Unternehmen damit „eher unzufrieden“.
Das liege zum einen an der demografischen Entwicklung, führt Thomas Keindorf, Präsident der Handwerkskammer Halle (Saale) aus. Aber dann holt er wieder das Hängematten-Argument aus der Tasche: Das läge auch an „einer Unwucht im deutschen Steuer- und Sozialsystem, welches Arbeitsanreize verringere. Arbeit müsse deutlich attraktiver als Nichtarbeit sein, und eine gute Ausbildung müsse sich finanziell lohnen.“
Das ist keine Analyse, sondern schlicht eine nicht überprüfbare Behauptung. Genauso wie die Vermutung der Kammern, sie würden mehr Fachkräfte bekommen, wenn der öffentliche Dienst jetzt massiv an Personal abbaut.
Oder in der Formulierung der Kammern: „Wenn es zudem endlich gelänge, die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Sektor durch Bürokratieabbau zu verringern, könnten diese frei werdenden Arbeitskräfte den Personalmangel in der wertschöpfenden Wirtschaft abmildern. Gleichzeitig werde durch Bürokratieabbau die Arbeitszeit produktiver genutzt.“
Dass selbst die Kommunen massive Probleme haben, ihre ausgeschriebenen Stellen zu besetzen, wird einfach ausgeblendet. Denn wirklich entscheidend ist allein der demografische Faktor, den ein ehemaliger Handwerkskammerpräsident noch kannte, weil er ihn im Amt selbst miterlebt: Die Halbierung der Ausbildungsjahrgänge, als diese Mitte der 2010er Jahre in den Betrieben ankamen – Resultat der drastisch gefallenen Geburtenraten in den 1990er Jahren. Dieser Effekt pflanzt sich jetzt durch alle kommenden Jahrgänge fort. Auf zwei ausscheidende Fachkräfte kommt nur noch ein neuer Bewerber.
Doch das Thema Demografie haben die Kammern in den vergangenen Jahren genauso gründlich unterschätzt wie die beiden Landesregierungen in Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Und deshalb ist das demografische Dilemma das eigentliche Standortproblem in der Region Leipzig / Halle – und zwar in den kleineren Städten viel stärker als in den attraktiveren Großstädten.
Die völlig unterschätze Integration
Wobei die Kammern durchaus bemerkt haben, dass sie 2019 wesentliche Standortfaktoren gar nicht abgefragt haben. Die tauchen deshalb zum ersten Mal auf: die Ladeinfrastruktur für E-Mobilität, der Service der Stadtverwaltung, die Attraktivität der Innenstadt, Einzelhandels- und Dienstleistungsangebote (womit man wieder bei den befragten Unternehmen selbst wäre, die ihrerseits den Standort beeinflussen) und Integrationsangebote für ausländische Arbeitskräfte.
Letzteres hat zwar erst einmal nur für knapp 20 Prozent der Unternehmen eine hohe Relevanz. Aber ganz offensichtlich sehen die befragten Unternehmer hier nicht die direkte Verbindung zum Fehlen von Fachkräften für ihre Unternehmen. Da haben die Kammern ganz offensichtlich noch eine Menge Aufklärungsarbeit zu leisten. Denn Fakt ist: Das demografische Problem wird sich nicht von allein lösen. Das wird nur mit der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte gelingen.
„Standortfaktoren, die nur für wenige Unternehmen von Relevanz sind, dürfen jedoch keinesfalls vernachlässigt werden. Diese können für die betroffenen Unternehmen – z. B. für Ausbildungsbetriebe, Unternehmen mit eigenen Forschungskapazitäten oder Betriebe, die zukünftig immer stärker auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sind – durchaus von großer Bedeutung sein“, heißt es in der Auswertung.
Und natürlich gibt es sehr relevante Standortfaktoren, deren Verbesserung für die Unternehmen elementar ist: „Der Standortfaktor ‚Breitbandanbindung/High-Speed-Internet‘ lag 2019 noch vor der ‚Netzverfügbarkeit Mobilfunk‘ an der Spitze des damals erstellten Wichtigkeitsrankings. Im aktuellen Relevanzranking haben diese Faktoren die Plätze getauscht.“ Beide liegen bei der Relevanz mit 77,5 und 75,8 Prozent an der Spitze. Und beide haben in Sachen Zufriedenheit seit 2019 leichte Zuwächse erlebt.
Es geht um die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen
Das Ergebnis der Befragung zeigt im Grunde, dass die Unzufriedenheit der Unternehmen so gut wie gar nicht aus den tatsächlich in der Region beeinflussbaren Standortfaktoren resultiert. Diese werden im Gegenteil meist sogar als recht gut bewertet. Auch hier stellt die Auswertung dann fest: „Wie schon vor fünf Jahren kann auch 2024/25 der Standortfaktor ‚Versorgungssicherheit mit Strom‘ als einziger das Prädikat ‚sehr zufrieden‘ erzielen. Ebenso wird kein Standortfaktor mit ‚sehr unzufrieden‘ bewertet.
Der Vergleich zur vorherigen Standortbefragung lässt dennoch eine allgemeine Verschlechterung in den Zufriedenheitsurteilen der Unternehmen erkennen. Ein entscheidender Grund dafür dürfte in der spürbaren Verschlechterung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen der vergangenen fünf Jahre liegen, die mit einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und einer großen Verunsicherung in der Unternehmerschaft einherging. Diese ist bis heute nicht überwunden.“
Die Befragung ergibt also kein Alarmsignal für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts selbst, sondern für die Rahmenbedingungen, mit denen die Unternehmen im Raum Leipzig / Halle genauso zu kämpfen haben wie die in anderen deutschen Regionen.
Und letztlich appelliert der Leipziger IHK-Präsident Kristian Kirpal deswegen auch nicht an die kommunalen Verwaltungen und Wirtschaftsinitiativen, sondern eher an die neue Bundesregierung, wenn er sagt: „Grundsätzlich sprechen die Ergebnisse unserer Langzeiterhebung zur Standortzufriedenheit eine deutliche Sprache: Der wirtschaftliche Puls schwächt sich weiterhin ab – auch wenn dies in der öffentlichen Wahrnehmung nicht überall angekommen ist. Wirtschaft muss endlich wieder Priorität haben, auf allen politischen Ebenen. Sonst zahlen wir bald den Preis für politisches Zögern – gesellschaftlich wie wirtschaftlich.“
Darin waren sich abschließend alle Kammer-Präsidenten einig.
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