Das habe er in zwanzig Jahren erst einmal erlebt, bemerkte OBM Burkhard Jung am Mittwoch, dem 25. Juni, in der Ratsversammlung. Mit den Grünen-Stadträtinnen Anne Vollerthun und Marsha Richarz trat ein Duo ans Rednerpult, um abwechselnd zu sprechen: Aus zwei Perspektiven wurde vermittelt, warum der Zugang zum Willkommenszentrum Leipzig (WZL) in der Otto-Schill-Straße barrierefrei gestaltet werden sollte.

30 Minuten – die Zeit, in der manche einen Einkauf, Arztbesuch oder Behördentermin erledigt haben. Chris Gaida, die „rollende Reporterin“ aus Leipzig, benötigte die halbe Stunde im Selbsttest allein dafür, mit Mobilitätseinschränkung von außen in die Beratungsräume des WZL in der Otto-Schill-Straße zu gelangen. Ein unhaltbarer Zustand, so die Grünen-Stadträtinnen Anne Vollerthun und Marsha Richarz in ihrer Rede vor der Ratsversammlung.

Ein wichtiger Anlaufpunkt

Denn wie willkommen könne sich ein Mensch fühlen, wenn er frisch in eine fremde Stadt kommt, womöglich ohne Sprachkenntnis, und dann auf der Suche nach Unterstützung, mit Rollstuhl, Gehhilfe, Kinderwagen oder schmerzendem Knie vor einer unüberwindbaren Treppe steht?

So kann es Betroffenen gehen, wenn sie am WZL sind. 2018 eröffnet, dient es Migranten und Geflüchteten unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus als erster Anlaufpunkt der Stadt. Es bietet in der Sprechzeit mehrsprachige Erstberatungen, Infos und Orientierung an, öffnet gegebenenfalls die Tür zu weiteren Ämtern und Dienstleistern. Ein Service, der hilft, in einer neuen Umgebung „anzukommen.“

Zwei Vorschläge der Grünen

In ihrem Antrag warben die Grünen, dass OBM Burkhard Jung einen barrierefreien und direkten Zugang zum WZL „räumlich oder baulich“ gewährleisten möge. Konkret: Die Stadt könne den bisher als IT-Kabinett genutzten Raum 012 des Sachgebiets Ausbildung dem benachbarten WZL zur Verfügung stellen und mithilfe einer Rampe den barrierefreien Zugang ermöglichen, der bisher noch durch zwei Stufen blockiert wird.

Das WZL wäre direkt erreichbar, was bisher nur von der Otto-Schill-Straße via Treppenhaus oder über das Bürgerbüro möglich ist. Eine Nutzung von 012 als Wartebereich böte laut Grünen auch eine Trennung zu Beratungsplätzen und damit besseren Datenschutz. Als Alternative schlug der Antrag vor, dass das WZL per Umzug die Räume 120, 120a und 121 in der ersten Etage in Beschlag nehmen könnte. Bisher lagern hier noch Archivalien.

Sicherheitsvorschriften, Kosten, Denkmalschutz: Alles nicht so einfach

Gut, dass es die Grünen nicht beim ersten Vorschlag belassen hatten, denn die Stadt hatte trotz allen Wohlwollens Einwände. In ihrem Verwaltungsstandpunkt (VSP) wies sie darauf hin, dass die Tür am Dittrichring als Fluchtweg ausgewiesen und auch die Türbreite zu schmal sei. Einem Eingriff würde der Denkmalschutz voraussichtlich nicht zustimmen.

Und auch die Nachrüstung mit einer Rampe zum Zugangsbereich des Ausbildungszentrums scheide aus: Deren Anbau könne die Fußwegsicherheit im Bereich Martin-Luther-Ring/Otto-Schill-Straße gefährden. Andere Varianten wie eine Stufenabsenkung und Fußboden-Herrichtung für eine Rampe seien ebenfalls unkalkulierbar: Kosten ungewiss, der Denkmalschutz wohl auch hier dagegen.

Schon am 2. November 2023 ergab ein Vorort-Termin laut Stadt, dass es so nicht funktionieren kann. Generell untersage der Eigentümer Umbauarbeiten aufgrund des Denkmalschutzes. Und: Auch im Gebäude-Inneren bräuchte man eine Rampe, um den fraglichen Raum überhaupt mit eingeschränkter Mobilität zu erreichen.

Vorschlag der Stadt einstimmig angenommen

Es ist also kompliziert. Die Stadt favorisierte die Nutzung der Räume im 1. OG, man werde sich mit den Ämtern für eine Lösung zugunsten der Barrierefreiheit abstimmen. Das noch einlagernde Schriftgut soll in den kommenden Monaten ans Stadtarchiv gehen. Dem solle der zeitnahe Umbau der Fläche und ihre Bereitstellung für das Referat für Migration und Integration folgen. Im Rahmen verfügbarer Mittel ist laut VSP ab 2026 damit zu rechnen, dass der Plan realisiert wird.

Anne Vollerthun und Fraktions-Kollegin Marsha Richarz hatten in ihrer Rede auch den Ansatz der Intersektionalität betont, der sie dazu brachte, gemeinsam zu sprechen: Die wechselseitige Verstärkung diskriminierender Erfahrungen, die durch fehlende Barrierefreiheit an Orten wie dem WZL entstehen könne.

Die Position der Stadt wurde durch die Rednerinnen ausdrücklich begrüßt. Man hoffe auch durch die Nähe zum Referat für Migration und Integration künftig auf stark gebündelte Ressourcen. Der Weg ist frei, jedenfalls im übertragenen Sinne – und bald hoffentlich auch ganz real: Die Ratsversammlung gab dem VSP einstimmig und ohne Widerspruch grünes Licht.

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