Es gibt Bücher, die nachdenklich machen, weil sie einen daran erinnern, dass die Art, wie man auf die Welt schaut, eben nicht dieselbe ist, wie andere Menschen ihre Umwelt wahrnehmen. Und das geht viel weiter, als man auf den ersten Blick meint. Wenn man sich so durchblättert, sind das natürlich alles nur kleine Sketche, die man Kinder spielen lassen kann. Sketche ums Missverstehen, um doppeldeutige Wortwendungen, um kleine Klugscheißer, die ihre gedankenlosen Eltern beim Wort nehmen und sich hinterher tierisch amüsieren. Aber es geht um mehr.

Aufmerksame Eltern wissen es. Und gehen einfühlsam auf die kleinen Rangen ein, wenn diese mal wieder alles wortwörtlich nehmen und falsch verstanden haben. Die Fähigkeit, doppelte Bedeutungen, Hintersinn und Bildhaftigkeit von Worten und Redewendungen zu erkennen, bildet sich erst langsam aus. Manche Kinder haben damit echte Schwierigkeiten und fühlen sich hinterher tatsächlich düpiert, wenn ihnen klargemacht wird, dass sie etwas falsch verstanden haben. Das ist nicht nur in der deutschen Sprache so. Aber bei solchen Gelegenheiten merken auch Erwachsene, wie bildhaft und mehrdeutig die deutsche Sprache ist. Und das ist gut so.

Das macht sie erst lebendig, mehrdimensional und schillernd.

Capito?

Nur: Damit können nicht nur Kinder anfangs schlecht umgehen. Das ist auch ein Problem für Menschen mit dem Asperger-Syndrom. Es geht ihnen wie der Autorin Verena Greiner: Sie nehmen alles wörtlich. Wortwörtlich. „Was andere Personen als selbstverständlich betrachten und nicht überdenken, möchte sie ins Bewusstsein rücken“, betonen die beiden Autorinnen im Nachwort.

Da schaut man dann mit völlig anderen Augen auf die in diesem Buch versammelten 54 Sketche, die auf den ersten Blick so einfach aussehen. Man schmunzelt darüber, lacht über die dolldreisten Kinder, die ihre Eltern so richtig auf den Arm nehmen, wenn sie ihre Wünsche tatsächlich wörtlich umsetzen.

Aber dann beginnt man darüber nachzudenken: Wie fühlt man sich wirklich als Mensch, wenn man Doppeldeutigkeiten nicht erkennen kann? Wenn einem die Großen etwas sagen, von dem diese denken, dass es doch jeder kapiert. Und dann stellt sich heraus: Sie haben es ganz anders gemeint. Man hat es nicht verstanden. Und meistens ist es dann ja so, dass man sich nicht nur selbst ärgert, sondern obendrein oft auch noch beschämt wird.

Da tauchen dann solche Worte wie „Kapieren“ auf, die immer herabsetzend gemeint sind. Und die auch „von oben“ kommen, aus gebildeten Kreisen, aus dem Lateinischen, von capere, begreifen. Verwandt mit anderen beleidigenden Worten wie begriffsstutzig oder „schwer von Begriff“. Die meisten werden derartige Abkanzlungen als Kind garantiert erlebt haben. Statt dass sich die ach so Erwachsenen Mühe geben, die durchaus komplexen Fallstricke in der deutschen Sprache ganz ruhig zu erklären, würdigen sie das Kind in seinem Noch-nicht-Wissen herab.

Das scheint tief in unserer Gesellschaft zu sitzen, in unserem auf Auslese getrimmten Bildungssystem sowieso, wo den Kindern schon früh eine Scham anerzogen wird, die sie dann durchs ganze Leben begleitet: etwas nicht zu wissen.

Den Spieß umdrehen

Die hier versammelten Sketche drehen den Spieß um. Sie lassen die Kinder tatsächlich alles wortwörtlich nehmen und den Erwachsenen damit zeigen, wie gedankenlos diese oft sprechen. Wie sie mit Floskeln und Phrasen um sich werfen und dabei völlig falsche Erwartungen wecken. Und es eben nicht nur Kindern schwer machen, die eigentliche Bedeutung des Gesagten zu verstehen, sondern eben auch Menschen mit Asperger-Syndrom.

Dass das selbst auf das Lesen von Speisekarten zutrifft, machen einige Restaurant-Sketche deutlich, bei denen man sich nur zu gut in die Verwirrung des Kellners versetzen kann, der mit Gästen konfrontiert ist, die das, was da auf der Karte steht, tatsächlich wortwörtlich nehmen. Oder sich tatsächlich gemeint und beleidigt fühlen, wenn der Kellner flapsig fragt, wer denn nun die Ente und wer das Schwein ist.

In der Kürze liegt eben nicht nur die Würze, sondern auch der schnelle Weg zum Missverständnis. Und wenn man so recht darüber nachdenkt, bekommt man eine leise Ahnung davon, wie unwohl sich viele – große und kleine – Menschen in unserer Gesellschaft fühlen, weil sie alles wortwörtlich verstehen, den doppelten Boden nicht erkennen oder Gesprochenes wie eine Zurückweisung und Herabwürdigung begreifen, weil der Sprecher gedankenlos war und schon lange keine Mühe mehr darauf verwendet hat, seine Mitmenschen klar und deutlich und einfühlsam anzusprechen.

So leicht und lustig die Sketche daher kommen: Hinter ihnen steckt eine große und manchmal bittere Wahrheit. Und sie eröffnen gedankenlosen großen Menschen auch den Weg, ein wenig zu verstehen, warum die kleinen Menschen die Flapsigkeiten der Großen oft nicht verstehen. Oder zutiefst verletzt sind, wenn sie dafür auch noch beschämt werden. Ein Buch, das für ein bisschen mehr Aufmerksamkeit sorgt, die wir beim Sprechen anderen gegenüber üben sollten. Mit Kindern sowieso. Nichts ist so wertvoll wie Geduld, Aufmerksamkeit und ein Bemühen um eine verständliche und verständnisvolle Sprache.

Verena Greiner, Cornelia Rohrmeier „… und noch ein Sketch“ Elysion-Books, Leipzig 2025, 16 Euro.

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